Prof. Dr. Wolfgang Scherf
Volkswirtschaftslehre und Öffentliche Finanzen

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Wolfgang Scherf

Ein neuer Anlauf zur Unternehmensteuerreform

Die Unternehmensteuerreform 2008/09 in Deutschland ist gründlich missglückt. Ausgehend vom heutigen System wird ein Konzept entwickelt, das die wesentlichen Mängel beseitigt und Rechtsform- und Wettbewerbsneutralität herstellt.

Seit der letzten Unternehmensteuerreform 2008/09 präsentiert sich das deutsche System in einer fragwürdigen Verfassung. Der Gesetzgeber hat ein Konglomerat von schlecht aufeinander abgestimmten Regelungen im Bereich der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer geschaffen, das sämtliche Effizienz- und Gerechtigkeitsprinzipien verletzt und nicht einmal die selbst gesteckten Ziele erreicht.

Das heutige System

Die heutige Unternehmensbesteuerung erfolgt durch die Gewerbesteuer und die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer. Sie unterscheidet sich nach der Rechtsform der Unternehmen, soll aber im Ergebnis alle Unternehmen annähernd gleich behandeln. Im Folgenden wird die Funktionsweise des aktuellen Systems kurz skizziert.

Besteuerung der Unternehmen

Gewinne der Kapitalgesellschaften werden bei einem Hebesatz von 400% mit 14% Gewerbesteuer und 15,825% Körperschaftsteuer (inklusive Solidaritätszuschlag) belastet. Auf der Unternehmensebene beträgt die Gesamtbelastung demnach 29,825%. Dies ist zugleich die endgültige Belastung für einbehaltene Gewinne. Die nach Gewerbe- und Körperschaftsteuer verbleibenden Gewinne werden bei Ausschüttung mit 26,375% Abgeltungsteuer (inklusive Solidaritätszuschlag) besteuert. Dies entspricht einer zusätzlichen Gewinnbelastung von ca. 18,51%. Die „Tarifbelastung“ der Unternehmen und Anteilseigner beläuft sich daher in der Summe auf ca. 48,33% der Dividenden.

Die Gewinne der Einzelunternehmen und Personengesellschaften unterliegen der progressiven Einkommensteuer und werden in der Spitze mit maximal 45% belastet. Allerdings dürfen die Unternehmen den 3,8-fachen Gewerbesteuermessbetrag (3,5% des Gewinns), also 13,3 Prozentpunkte von der Einkommensteuer abziehen. Das reduziert den maximalen Einkommensteuersatz auf 31,7% bzw. auf ca. 33,44% inklusive Solidaritätszuschlag. Insgesamt werden entnommene Gewinne mit 47,44% und damit annähernd so hoch wie bei den Kapitalgesellschaften belastet.

Zur Kompensation der ungünstigeren Besteuerung bei Gewinnthesaurierung haben die Einzelunternehmen und Personengesellschaften die Option einer mit 28,25% (statt maximal 45%) besteuerten Thesaurierungsrücklage. Sie reduziert die Belastung einbehaltener Gewinne auf ca. 29,77%, allerdings nur bei Zahlung der Steuer aus Privatvermögen. Bei Zahlung des Steuerbetrags aus Betriebsvermögen erhöht sich die Belastung durch Versteuerung der Entnahme mit dem Einkommensteuersatz auf maximal 36,16%. Auch wenn die Unternehmer zunächst nichts für ihren Konsum entnehmen, werden sie schärfer besteuert als Kapitalgesellschaften. Eine spätere Entnahme des thesaurierten Gewinns führt zu einer Nachversteuerung und erhöht die Tarifbelastung auf 47,98%.

Steuersystematische Mängel

Trotz der annähernden Übereinstimmung der Tarifbelastung kann von einer Gleichbehandlung der Unternehmen und erst recht der Einkommen keine Rede sein.

  • Die Abgeltungsteuer begünstigt Zinseinkommen gegenüber den Einkommen, die der persönlichen Einkommensteuer unterliegen. Aufgrund der Vorbelastung mit Körperschaftsteuer werden außerdem Dividenden höher besteuert als Zinserträge. Am geringsten belastet sind die einbehaltenen Gewinne der Kapitalgesellschaften. Die unterschiedliche Behandlung der Einkommen ist ein klarer Verstoß gegen die horizontale Gerechtigkeit und damit gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.

  • Das heutige System sorgt für unterschiedliche Kapitalkosten und verletzt damit massiv die Finanzierungsneutralität. Für Investitionen der Kapitalgesellschaften sind derzeit Selbst- und Fremdfinanzierung gleichermaßen günstig. Wesentlich schlechter schneidet die Beteiligungsfinanzierung ab. Ausgerechnet die für Kapitalgesellschaften typische Finanzierungsform wird also steuerlich diskriminiert.

  • Bei Personenunternehmen stellt dagegen die Fremdfinanzierung die günstigste Finanzierungsform dar. Der Kapitalkostensatz für Selbst- und Beteiligungsfinanzierung ist bei Regelbesteuerung erheblich höher. Aber auch im Fall der Thesaurierungsrücklage liegen die Kapitalkosten stets über den Kosten der Fremdfinanzierung. Die Eigenkapitalbasis der kleinen und mittelständischen Unternehmen wird durch die klare Begünstigung der Fremdfinanzierung zweifellos nicht gestärkt.

  • Trotz scheinbar vergleichbarer Tarifbelastung wird auch die Rechtsformneutralität verfehlt. Bei Gewinnausschüttung sind die Personenunternehmen gegenüber den Kapitalgesellschaften begünstigt, und zwar um so stärker, je niedriger der persönliche Einkommensteuersatz ausfällt. Umgekehrt sorgt die volle Besteuerung der einbehaltenen Gewinne für eine Benachteiligung der Personenunternehmen, die durch die Thesaurierungsrücklage nicht aufgehoben wird.

Für die vorhandenen Abweichungen von der Finanzierungs- und Rechtsformneutralität lassen sich gewiss keine positiven Lenkungseffekte reklamieren. Die unsystematischen Regelungen begünstigen bei den Kapitalgesellschaften die Selbstfinanzierung, bei den Personenunternehmen jedoch nicht. Wenn der Staat kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fördern will, sollte er sich darauf konzentrieren, die steuerliche Diskriminierung von Investitionen mit neuem Eigenkapital zu beseitigen, die gerade junge Unternehmen in der Gründungs- und Wachstumsphase trifft.

Zurück in die Zukunft

Die Defizite der Unternehmensbesteuerung lassen sich durch eine relativ einfache Neuordnung beheben, die wesentliche Elemente des heutigen Systems neu kombiniert und mit dem Anrechnungsverfahren für Dividenden ein bereits bewährtes Element hinzufügt.

  • Die Abgeltungsteuer wird abgeschafft. Zinsen und Dividenden unterliegen wieder wie andere Einkommen der persönlichen Einkommensteuer.

  • Der Körperschaftsteuersatz wird auf 30% angehoben. Im Gegenzug dürfen auch Kapitalgesellschaften die Gewerbesteuer anrechnen.

  • Der Abzug der Gewerbesteuer von der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer wird auf den 4-fachen Gewerbesteuermessbetrag erhöht.

  • Die Thesaurierungsrücklage für Personenunternehmen wird um die Steuer auf thesaurierte Gewinne erweitert und mit 30% besteuert.

Mit diesen Maßnahmen lässt sich eine weitgehend aufkommensneutrale und vor allem eine rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung realisieren. Dies wird anhand einer Berechnung der neuen Tarifbelastungen demonstriert.

Das neue Unternehmensteuersystem

Die folgende Tabelle illustriert die Funktionsweise des Grundmodells für Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen differenziert nach Ausschüttung und Thesaurierung. Zur Vereinfachung bleibt der für das qualitative Ergebnis bedeutungslose Solidaritätszuschlag außer Betracht. Gewinne der Kapitalgesellschaften werden bei einem Hebesatz von 400% mit 14% Gewerbesteuer belastet. Durch den Abzug des 4-fachen Gewerbesteuermessbetrags reduziert sich die Körperschaftsteuer entsprechend. Somit verbleibt eine Belastung auf Unternehmensebene von 30%.


Tarifbelastungen nach dem Reformmodell

Tab-1

Tab-1

Annahmen: Gewerbesteuerhebesatz 400%, Anrechnung des 4-fachen Gewerbesteuermessbetrags, Körperschaftsteuersatz 30%, Thesaurierungssteuersatz für Personenunternehmen 30%, Spitzensatz der Einkommensteuer 45%, kein Solidaritätszuschlag.


Die effektive Belastung fällt höher aus, wenn der Gewerbesteuerhebesatz über dem Anrechnungswert liegt. Im Gegensatz zum heutigen System soll die Steuerermäßigung aber nicht auf die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer beschränkt sein, sondern bei einem Gewerbesteuerhebesatz unter dem Anrechnungswert eine Entlastung erfolgen. Abweichungen vom Anrechnungssatz wirken dann symmetrisch auf die Unternehmensteuer. Der Vorteil besteht darin, dass Hebesatzdifferenzen voll spürbar bleiben und ihre Funktion als Standortfaktor behalten.

Während die Besteuerung einbehaltener Gewinne mit 30% abgeschlossen ist, erfolgt die Besteuerung ausgeschütteter Gewinne bei den Anteilseignern. Der ihnen zugerechnete Betrag entspricht dem Gewinn vor Gewerbe- und Körperschaftsteuer. Die darauf entfallende persönliche Einkommensteuer wird um die Körperschaftsteuer, also um 30% des Gewinns vor Steuern vermindert (bei Erstattung negativer Beträge). Wer dem Spitzensteuersatz unterliegt, hat demnach auf Dividenden 45% Einkommensteuer abzüglich 30% Körperschaftsteuer und mithin noch 15% Einkommensteuer zu zahlen.

Die Gewinne der Personenunternehmen, die nicht im Unternehmen verbleiben, werden wie bisher mit der persönlichen Einkommensteuer belastet. Abziehbar ist nun der 4-fache Gewerbesteuermessbetrag, was 14 Prozentpunkte der Einkommensteuer erspart. Für einen Spitzenverdiener verbleiben somit 31% Einkommensteuerbelastung zuzüglich 14% Gewerbesteuer (bei einem Hebesatz von 400%), also insgesamt 45% des Bruttogewinns.

Eine entscheidende Neuerung ist die Erweiterung der Thesaurierungsrücklage um die Steuer auf thesaurierte Gewinne. Die Brutto-Thesaurierung inklusive Steuer entspricht dem Gewinn abzüglich der Ausschüttung. Sie unterliegt nun insgesamt dem reduzierten Steuersatz von 30%. Nach Anrechnung der Gewerbesteuer sinkt die Belastung auf effektiv 16%. Die Gesamtbelastung der einbehaltenen Gewinne durch Gewerbe- und Thesaurierungssteuer entspricht mit 30% bei einem Hebesatz von 400% derjenigen der Kapitalgesellschaften. Andere Hebesätze führen (auch bei den ausgeschütteten Gewinnen) zu nach oben und unten abweichenden Tarifbelastungen, die jedoch stets denen der Kapitalgesellschaften entsprechen.

Mit dem bisherigen Solidaritätszuschlag von 5,5% auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer steigt die Tarifbelastung der Unternehmen für einbehaltene Gewinne auf 30,88% und für ausgeschüttete Gewinne auf maximal 46,71%. Die Thesaurierungsbelastung liegt für Kapitalgesellschaften 1,1 Prozentpunkte über dem heutigen Wert, für Personenunternehmen 5,3 Prozentpunkte darunter (bei Zahlung aus Betriebsvermögen). Die Ausschüttungsbelastung unterschreitet den heutigen Wert für Kapitalgesellschaften um 1,6 Prozentpunkte und für Personenunternehmen um 0,7 Prozentpunkte.

Weitgehende Neutralität der Besteuerung

Das hier vorgeschlagene Reformkonzept dient der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und weist unter den realistischen Optionen die größtmögliche Steuerneutralität auf.

  • Das Anrechnungsverfahren behandelt ausgeschüttete Gewinne wie andere persönlich besteuerte Einkommen und verbessert damit die horizontale sowie die vertikale Steuergerechtigkeit gegenüber dem heutigen System erheblich.

  • Zudem sorgt das Anrechnungsverfahren in Verbindung mit der einheitlichen Anrechnung der Gewerbesteuer hinsichtlich der ausgeschütteten Gewinne für Rechtsformneutralität. Mithilfe der erweiterten Thesaurierungsrücklage wird dieses Ziel auch für die einbehaltenen Gewinne perfekt erreicht.

  • Finanzierungsneutral ist das neue System „nur“ hinsichtlich der Beteiligungs- und Fremdfinanzierung. Die einbehaltenen Gewinne und die Selbstfinanzierung bleiben jedoch für alle Steuerzahler begünstigt, deren persönlicher Einkommensteuersatz über 30% liegt. Dafür spricht möglicherweise das Ziel der Eigenkapitalförderung.

Abweichungen der Belastung einbehaltener und ausgeschütteter Gewinne sind jenseits der theoretischen Option einer Teilhabersteuer unvermeidlich. Im Vergleich zum Status Quo werden sie durch die Rechtsformneutralität des Reformvorschlags jedenfalls gemindert. Die hier vorgeschlagene Lösung begünstigt die Selbstfinanzierung aller Unternehmen gleichermaßen. Sie trägt damit der Kritik Rechnung, dass eine zu geringe Eigenkapitalausstattung die Krisenanfälligkeit der Unternehmen erhöht und ihre Investitionsbereitschaft vermindert. Diese Eigenschaften dürften jedenfalls die Realisierungschancen des Reformvorschlags in der heutigen Zeit deutlich vergrößern. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen durch die amerikanische Steuerpolitik sei zudem angemerkt, dass die strukturelle Erneuerung der Unternehmensbesteuerung durchaus mit einer Reduktion der Steuerbelastung verknüpft werden kann.

Fazit

Das durch mehrere Steuerreformen beschädigte Unternehmensteuersystem in Deutschland sollte noch einmal gründlich überdacht werden. Hierzu will der vorliegende Beitrag einen Denkanstoß geben. Die ohnehin auf der politischen Agenda stehende Abschaffung der in jeder Hinsicht problematischen Abgeltungsteuer eröffnet die Chance auf die Rückkehr zum Anrechnungsverfahren. Zusammen mit einer rechtsformunabhängigen Besteuerung der einbehaltenen Gewinn und einer einheitlichen Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer wäre eine deutliche Verbesserung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland erreichbar.


03.03.2018 © Wolfgang Scherf

Finanzwissenschaftliche Arbeitspapiere 99-2018
Wirtschaftsdienst 05/2018