Prof. Dr. Wolfgang Scherf
Volkswirtschaftslehre und Öffentliche Finanzen

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Wolfgang Scherf

Der Kindergrundfreibetrag

Ein steuersystematisch falscher Ansatz zur Berücksichtigung der Kinderlasten

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) plädiert in dem Beitrag „Ein Modell, das Eltern entlastet“ für den Ersatz des Kinderfreibetrags durch einen Kindergrundfreibetrag: „Je höher das Einkommen der Eltern, desto größer ist ihre Steuerersparnis durch den Kinderfreibetrag. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln schlägt vor, statt dessen einen Kindergrundfreibetrag einzuführen, der diesen Effekt beseitigt.“

Der Kinderfreibetrag ist ein Abzug von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, welcher die typischen Ausgaben der Eltern für die Kinder erfassen soll, einschließlich der Aufwendungen für Betreuung, Erziehung und Ausbildung. Im Gegensatz zum Kinderfreibetrag wirkt der Kindergrundfreibetrag wie ein Abzug von der Steuerschuld, dessen Entlastungseffekt auf die Höhe der Steuerschuld begrenzt ist.

Dass das IW die steuersystematische Berechtigung des Kinderfreibetrags in Zweifel zieht, ist überraschend. Denn der Kinderfreibetrag ist keine Steuervergünstigung, die man nach Belieben, z.B. durch Umwandelung in einen Grundfreibetrag einschränken kann. Der Kinderfreibetrag soll für horizontale Steuergerechtigkeit zwischen Eltern und Kinderlosen sorgen, die ansonsten über das gleiche Einkommen verfügen. Aufwendungen für die Kinder mindern die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern, so dass nur das darüber hinausgehende Einkommen als steuerlich belastbar angesehen werden kann. Daher werden Ausgaben für die Kinder – steuersystematisch korrekt – von der Bemessungsgrundlage der Eltern abgezogen.

Nur wenn man den Entlastungseffekt des Freibetrags auf das nicht uneingeschränkt leistungsfähige Einkommen unter Einschluss des Freibetrags bezieht, sieht es so aus, als würden Eltern progressionsabhängig entlastet. Das ist aber ein Fehlschluss, der auf der Verwendung einer falschen Bezugsgröße basiert. Tatsächlich zeigt der progressionsabhängige Freibetragseffekt etwas ganz anderes, nämlich die progressionsabhängige Mehrbelastung der Eltern gegenüber den Kinderlosen, die sich ergibt, wenn der Gesetzgeber das Existenzminimum der Kinder unzulässigerweise in die Bemessungsgrundlage der Eltern einbezieht.

Der Kinderfreibetrag verhindert also nur eine mit dem persönlichen Grenzsteuersatz wachsende horizontale Ungleichbehandlung. Der Kindergrundfreibetrag würde diese Ungleichbehandlung verdeckt einführen. Er stellt das Existenzminimum der Kinder nur für Eltern steuerfrei, die gerade ein insgesamt existenzminimales und somit steuerfreies Einkommen beziehen. Darüber hinausgehende Einkommen werden aber zu hoch besteuert.

Ein einfaches Beispiel kann das belegen. Annahmegemäß sollen jedem Familienmitglied 8.000 Euro an steuerfreiem Existenzminimum zustehen. Der Steuersatz oberhalb des Elternfreibetrags von 16.000 Euro sei 20% für die ersten 8.000 und 25% für die nächsten 8.000 Euro.

  • Eltern mit 24.000 (32.000) Euro Einkommen zahlen ohne Freibetrag 1.600 (3.600) Euro an Steuern. Der echte Kinderfreibetrag reduziert die Steuer auf 0 (1.600) Euro und die „Ersparnis“ beträgt 1.600 (2.000) Euro. Tatsächlich werden die Eltern korrekt besteuert, nämlich so wie ein kinderloses Paar, das über ein vergleichbares Einkommen von 16.000 (24.000) Euro verfügt und keine 8.000 Euro Kinderkosten zu veranschlagen hat.
  • Der Kindergrundfreibetrag reduziert die Steuer bei gleichen Ausgangseinkommen auf 0 (2.000) Euro und die „Ersparnis“ beträgt 1.600 (1.600) Euro. Für die Eltern mit dem höheren Einkommen von 32.000 Euro besteht nun aber keine Gleichbehandlung mit Kinderlosen, die über 24.000 Euro verfügen, denn diese zahlen nur 1.600 Euro an Steuern, während das Ehepaar mit Kind nun 2.000 Euro zahlen muss. Die Eltern werden wie ein kinderloses Paar besteuert, das 25.600 Euro zur Verfügung hat, also 1.600 mehr als das Ehepaar mit Kind. Faktisch wird also eine nicht vorhandene Leistungsfähigkeit besteuert und auf diesem Wege das Kinderexistenzminimum mit 400 Euro belastet.

Daraus folgt, das der Wechsel vom Kinderfreibetrag zum Kindergrundfreibetrag einen Verstoß gegen die horizontale Steuergerechtigkeit und damit gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip darstellt. Ein solcher Vorschlag dürfte kaum verfassungsfest sein.

An dieser Rechnung ändert sich prinzipiell nichts, wenn der Kindergrundfreibetrag höher ist als der Kinderfreibetrag. Die Benachteiligung der Eltern greift dann erst bei einem höheren Einkommen, während darunter eine steuersystematisch ebenso verfehlte Entlastung der Eltern gegenüber den Kinderlosen zustande kommt.

Auch die Verrechnung mit dem aus sozialpolitischen Gründen gewährten Kindergeld führt zu keiner anderen Bewertung. Das Kindergeld im engeren Sinne, das die Eltern faktisch entlastet, entspricht nur der Differenz zwischen dem formal gezahlten Kindergeld und der Entlastung durch den Kinderfreibetrag. Sobald der Entlastungseffekt des Freibetrags dem Kindergeld entspricht, wird faktisch kein Kindergeld mehr gezahlt. Die Verrechnung sorgt also für ein einkommensabhängiges Kindergeld, während der Freibetrag unabhängig davon zur Sicherstellung der horizontalen Steuergerechtigkeit notwendig ist.

Der Kindergrundfreibetrag stellt somit keine geeignete Alternative zum bisherigen Kinderfreibetrag dar. Wer eine steuersystematisch korrekte Lösung durch eine falsche ersetzt, beseitigt damit keine Vergünstigung, sondern schafft eine neue steuerliche Diskriminierung. Solche Vorschläge kennt man von umverteilungsgeneigten Politikern, aber eigentlich nicht vom Institut der deutschen Wirtschaft.


2011 © Wolfgang Scherf

Finanzwissenschaftliche Arbeitspapiere 85-2011
Der Beitrag ist auch erschienen auf Ökonomenstimme