Prof. Dr. Wolfgang Scherf
Volkswirtschaftslehre und Öffentliche Finanzen

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Wolfgang Scherf

Länderfinanzausgleich ­– Selbstbedienung statt Reform

Am 14.10.2016 haben Bund und Länder eine Reform ihrer Fi­nanz­be­zie­hun­gen vereinbart. Grundlage war der Beschlussvorschlag der Länder vom 03.12.2015, der mit nur geringen Abstrichen umgesetzt wurde. Die Reform missachtet wesentliche Kriterien eines sachgerechten Finanzausgleichs und läuft auf eine Umverteilung zugunsten der Länder in Höhe von rund 9,5 Mrd. Euro hinaus.

Die in der Adventszeit 2015 verbreitete Nachricht, dass die Länder sich auf eine Reform des Länderfinanzausgleichs geeinigt hätten, konnte nur bedeuten, dass alle Länder mehr Geld erhalten und der Bund die Rechnung übernehmen sollte. Der Bundesfinanzminister war erstaunlich schnell zu erheblichen Zugeständnissen bis zu 8,5 Mrd. Euro bereit. Gelandet ist er sogar nahe bei den von den Ländern geforderten 9,7 Mrd. Euro. Diese Konzession überrascht angesichts der bereits erfolgten Entlastungen der Länder und der Warnungen des Bundesrechnungshofes vor einem finanziellen Ausbluten des Bundes.

Das nun beschlossene Modell beinhaltet im Wesentlichen folgende Punkte:

  1. Die direkten Ausgleichszahlungen unter den Ländern werden abgeschafft. Stattdessen erfolgt der horizontale Ausgleich versteckt, primär im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung und sekundär über die allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen.
    • Die Länder erhalten einen zusätzlichen Festbetrag von 2,6 Mrd. Euro sowie zusätzliche Umsatzsteuerpunkte im Wert von 1,42 Mrd. Euro.
    • Der Länderanteil an der Umsatzsteuer wird nach der Einwohnerzahl verteilt, jedoch modifiziert durch finanzkraftbezogene Zuschläge und Abschläge. Deren Berechnung erfolgt nach einem linearen Tarif mit einem Ausgleichsatz von 63 Prozent.
    • Die Auffüllquote der allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen steigt auf 80 Prozent der Fehlbeträge bis zu einer Finanzkraft von 99,75 Prozent des Durchschnitts.

  2. Wichtige, teils umstrittene Faktoren zur Berücksichtigung spezifischer Bedarfe werden nicht oder nur leicht modifiziert.
    • Die kommunale Finanzkraft wird nun zu 75 Prozent statt bislang zu 64 Prozent in die Länderfinanzkraft eingerechnet.
    • Die Einwohnerwertungen für die Stadtstaaten sowie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt bleiben erhalten.
    • Die Bundesergänzungszuweisungen (BEZ) für Kosten politischer Führung und strukturelle Arbeitslosigkeit werden fortgeführt.

  3. Neben den bestehenden werden weitere Ausgleichsansprüche etabliert.
    • Die neuen Gemeindefinanzkraft-BEZ in Höhe von ca. 1,5 Mrd. Euro kompensieren 53,5 Prozent der Lücke zu 80 Prozent der mittleren Gemeindesteuerkraft.
    • Brandenburg erhält zusätzliche Sonderbedarfs-BEZ für Kosten politischer Führung in Höhe von 11 Mio. Euro.
    • Die neuen Forschungs-BEZ gleichen 35 Prozent der Differenz zu 95 Prozent des Länderdurchschnitts der Nettozuflüsse aus.
    • Das Saarland und Bremen erhalten Sanierungshilfen in Höhe von insgesamt 800 Mio. Euro.

  4. Der Bund wird durch die beschlossene Reform mehrfach belastet. Er verliert 4 Mrd. Euro bei der Umsatzsteuer, 4,5 Mrd. Euro durch erhöhte Bundesergänzungszuweisungen und weitere 1 Mrd. Euro durch Sanierungshilfen und ergänzende Reformelemente.

Der Bund war zu einer Zahlung von rund 9,5 Mrd. Euro an die Länder durch nichts verpflichtet. Sein guter Wille, einen Beitrag zur Reform der föderalen Finanzverfassung zu leisten, wurde von den Ländern rigoros ausgenutzt. Aber selbst wenn man sich auf eine abgespeckte Version geeinigt hätte, stellt sich die Frage, ob die Reform wenigstens eine strukturelle Verbesserung darstellt. Leider ist das Gegenteil der Fall.

Nach Auffassung der Länder wird der Finanzausgleich einfacher, transparenter und gerechter gestaltet. Zweifel daran sind schon aufgrund der langen Liste der durchgesetzten Elemente angebracht. Dass der direkte Ausgleich unter den Ländern entfällt, macht das System noch nicht besser, denn funktional wird dieser Schritt nur in die horizontale Umsatzsteuerverteilung integriert, deren Komplexität und Intransparenz dadurch steigt.

Die Ausweitung der Bundesergänzungszuweisungen stellt ebenfalls keinen Fortschritt dar, sondern dient allein der zusätzlichen oder weiteren Dotierung spezieller Länderinteressen. Den BEZ für Kosten politischer Führung fehlte schon immer eine nachvollziehbare Begründung. Die BEZ für strukturelle Arbeitslosigkeit waren als Übergangshilfen nach der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gedacht. Die Gemeindefinanzkraft-BEZ ersetzen in erheblichem Maße die ab 2019 endenden Sonderbedarfs-BEZ für die neuen Länder, die u.a. dem Ausgleich einer geringen kommunalen Steuerkraft dienen. Die Forschungs-BEZ machen schließlich einen weiteren, willkürlich gegriffenen Tatbestand ausgleichspflichtig.

Last, not least: Sanierungshilfen für überschuldete Bundesländer setzen innerhalb Deutschlands dieselben Fehlanreize wie die EU gegenüber Griechenland. Es passt gut ins Bild der beabsichtigten Gemeinschaftshaftung, dass die Länder auch nach der Einigung eine Diskussion über die Prolongation ihrer bestehenden Kredite gemeinsam mit dem Bund verlangen.

Die Bundesländer hatten allen Grund zur Eile, um ihr Modell im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 durchzudrücken. Auf der Basis ihrer interessengeleiteten Agenda konnte freilich keine echte Reform gelingen. Für das enttäuschende Ergebnis trägt der Bund die Hauptverantwortung. Er hat den Ländervorschlag ohne Not als Verhandlungsergebnis akzeptiert und damit die Chance vertan, den Länderfinanzausgleich nicht nur zu verändern, sondern strukturell zu verbessern. Hierfür hätte der Finanzminister nur das effizienzsteigernde und dabei nahezu verteilungsneutrale Modell seines wissenschaftlichen Beirats aufgreifen müssen. Garniert mit einer wesentlich kleineren Zahlung von unter 2 Mrd. Euro aus der Bundeskasse wäre auch damit eine Besserstellung aller Länder gegenüber dem heutigen System erreichbar gewesen.


Literatur

Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 14.10.2016, Beschluss zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab 2020.

Ministerpräsidentenkonferenz am 3.12.2015, Beschlussvorschlag zur Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen.

Kronberger Kreis, Für eine echte Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Berlin 2016.

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, Berlin 2015.


15.10.2016 © Wolfgang Scherf

Der Beitrag ist auch erschienen auf Wirtschaftliche Freiheit